Gesetzeslücke im Freistaat: So elendig geht es Sachsens Streunerkatzen
Es ist ein tausendfaches erbärmliches Elend im Verborgenen: Sachsens Streunerkatzen leiden unter schmerzhaften Krankheiten, bevor sie jämmerlich verrecken. Ursache dafür sind ausgerechnet Katzenliebhaber.
Jene, welche ihr Haustier unkastriert durch die Gegend streifen lassen oder einen ungewünschten Wurf aussetzen. Zudem ist der Freistaat beim Katzenschutz das Schlusslicht der Republik. Eine Initiative will das nun ändern und damit Sachsens größtes Tierschutzproblem angehen.
Immerhin fördert der Freistaat jedes Jahr einzelne Kastrationsprojekte für etwa 2000 der geschätzt 100.000 herrenlosen Katzen. Dann locken Tierschutzvereine an sogenannten Hotspots die scheuen Samtpfoten in eine Kastenfalle. Im städtischen Bereich sind dies vornehmlich Kleingartenanlagen, auf dem Dorfe verlassene Bauernhöfe und Friedhöfe.
Nur jede hundertste Streunerkatze kann als gesund bezeichnet werden. Jede zweite ist ernsthaft krank, könnte aber geheilt werden. Fünf Prozent hingegen sind dem Tode schon sehr nahe.
Weit verbreitet sind verschiedene Parasiten oder die hochinfektiöse Panleukopenie, bei welcher die Tiere wie die Fliegen sterben. Und vor allem der für Laien erst einmal harmlos klingende Katzenschnupfen.
Straßenkatzen sterben oft nach einigen Monaten
Christina Walloschke, Geschäftsführerin der Torgauer Praxis Tierärzte mit Herz: “Das ist ein hochansteckender Komplex verschiedener Viren und Bakterien, welche vor allem die Schleimhäute angreifen. Das Essen und Trinken bereitet den Tieren große Schmerzen, sodass sie bald verhungern. Oft sind auch die Augen betroffen, was zur Erblindung führt.”
Während eine gepflegte Hauskatze auf bis zu 20 glückliche Lebensjahre kommen kann, erreichen fast drei Viertel der Straßenkatzen nicht einmal den sechsten Lebensmonat. Walloschke: “Sind alle Kitten eines Wurfes tot, wird die ohnehin geschwächte Katze sofort wieder rollig und das Leiden wiederholt sich aufs Neue.”
Als Vorsitzende der Tierhilfe Torgau ist sie gelegentlich bei Kastrations-Aktionen dabei und sieht die grausamen Qualen. Manchmal nimmt sie dem Tode geweihte Kätzchen mit heim und päppelt sie liebevoll auf.
Derzeit ist sie Ersatzmutti für zehn kleine Fellträger, welche teils alle zwei Stunden gefüttert werden wollen. Christina Walloschke weiß, dass sie das Leiden nur punktuell mindern kann. Um den verhängnisvollen Kreislauf zu beenden, bedarf es einer größeren Lösung.
Registrierungschip könnte helfen
Und die fängt bei den Katzenhaltern an – in jedem vierten sächsischen Haushalt lebt mindestens eine Katze. Von diesen 700.000 Tieren sind eine halbe Million Freigänger, von denen zirka 150.000 nicht kastriert sind und damit immer wieder für unheilvolle Reproduktionsketten sorgen.
Und manche Katzenfreunde bringen es sogar übers Herz, ihren Liebling in einer anderen Gegend auszusetzen, sobald sich eine Trächtigkeit andeutet.
Alle Bundesländer – außer Sachsen – verfügen inzwischen über Regelungen zum Katzenschutz, die Kastrations- und Registrierungspflichten für frei laufende Hauskatzen umfassen. Manche gelten für das ganze Land, in anderen werden die Kompetenzen auf die Kommunen übertragen.
Mit dem Registrierungschip könnte sichergestellt werden, dass eine entlaufene oder verirrte Katze auch wieder zu ihrem Halter zurückfindet.
Mehrfach haben sächsische Gemeinden bereits versucht, mit einer solchen Satzung einer Katzenplage Herr zu werden.
Diese scheiterten meistens schon bei der Kommunalaufsicht ihres Kreises oder spätestens bei der Landesdirektion – eben weil es in Sachsen keine entsprechende Rechtssicherheit gibt.
Petition könnte kommen
Daher gründete sich im vergangenen Jahr die Initiative Sächsische Katzenverordnung (ISK), welche diesen Missstand beheben will. Neben der Minderung des Katzenelends verspricht man sich eine deutliche Entlastung der überfüllten Tierheime und den Schutz von Wildtieren wie etwa Vögeln.
Die Initiative nutzte ein Netzwerktreffen, um die Akteure des sächsischen Tierschutzes hinter ihrem Vorhaben zu sammeln: Den Landestierschutzverband und die örtlichen Vereine, die Landestierschutzbeauftragte, die Tierärztekammer, die beamteten Tierärzte und auch den Landesverband praktizierender Tierärzte (bpt), in welchem ISK-Sprecherin Anja Eigenseer Vorstandsmitglied ist.
Die Leipziger Tierärztin: “Wir setzen uns für eine flächendeckende Katzenschutzverordnung in Sachsen ein, weil sowohl Freigänger als auch Streunerkatzen vor Gemeindegrenzen nicht haltmachen. Nur so können wir das Problem nachhaltig angehen.”
Eine gemeinsame Forderung aller Beteiligten übergab sie dieser Tage höchstpersönlich im zuständigen Sozialministerium. Wenn jetzt nichts ins Rollen kommt, soll gegebenenfalls mit einer Petition Druck gemacht werden.
Elend der Streuner weitgehend unbekannt
Bis dahin verschreibt sich die ISK der Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit. Denn zum einen ist das Elend der Streuner weitgehend unbekannt. Und etwa ein Zehntel der Katzenhalter weigern sich aus unterschiedlichen Gründen, ihr Tier kastrieren zu lassen.
Nicht nur wegen des Preises. Eigenseer: “Haustierhaltung kann man als Privileg betrachten. Dann sollte man auch sichergehen, dass man damit keine Leiden verursacht.”
Aus medizinischer Sicht hat die Kastration sogar einige Vorteile, weil es ohne diese zu körperlichen und psychischen Problemen kommen kann: bei der Katze etwa die Dauerrolligkeit und beim Kater der Stress mit Markierverhalten und Aggression. Auch die Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten wird reduziert.